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Kunstgeschichte: Vom Klang im Mittelalter

23.04.2025

Kunsthistorikerin Joanna Olchawa, neuberufen, ist Expertin für Sound Art und mittelalterliche Kunst.

Eine weibliche Person sitzt in einem hellen Arbeitsraum an einem Besprechungstisch und blickt in die Kamera.

Prof. Dr. Joanna Olchawa

reist viel, um sich ein Bild davon zu machen, wie mittelalterliche Objekte vor Ort wirken. | © LMU/Stephan Höck

Was hat ein Loch in einer mittelalterlichen Kirchenwand mit Kunst zu tun? Wer mit Joanna Olchawa spricht, erfährt: sehr viel, wenn sich dahinter ein Gefäß verbirgt. „Das sind sogenannte Schalltöpfe. Tatsächlich ist der Klang, wenn sie zum Beispiel im Chor angebracht sind und dort gesungen wird, ein anderer. Für mich als Kunsthistorikerin ist wiederum interessant, wenn diese Löcher in Bildprogramme eingefügt wurden.“ Dann ist zum Beispiel ein Kopf mit offenem Mund dargestellt oder bei einer Posaune ist die Öffnung des Instruments die reale Öffnung der Schalltöpfe.

Joanna Olchawa ist seit 2024 Professorin mit Schwerpunkt Kunstgeschichte des Mittelalters und Expertin für Klang. In ihrer Forschung untersucht sie, wie das Visuelle mit dem auditiv Erfahrbaren bei der Wahrnehmung von Kunst zusammenspielt. Ein Effekt, der im Mittelalter offenbar gekonnt eingesetzt wurde. „Die Kunst des Mittelalters funktioniert nicht nur visuell, sondern ist sehr sinnlich geprägt“, sagt Olchawa.

Exkursionen zu vormodernen Objekten

Um der Komplexität mittelalterlicher Kunst gerecht zu werden, reist Joanna Olchawa zu den untersuchten Objekten vor Ort. Zum Beispiel ist sie für ihr Projekt „Europäische Kanzeln um 1500 und ihre klanglichen Dimensionen“, dessen Ergebnisse sie für ihre Habilitation eingereicht hat, quer durch Europa gereist, um zu verstehen, wie diese in der Kirche wirken.

Die Kunsthistorikerin hat unter anderem untersucht, mit welchen Vorrichtungen die Kanzeln versehen wurden, um den Schall zu lenken und die Stimme des Predigers zu optimieren sowie die Wirkung auf das Publikum. So zeigen Messungen, dass die Stimme perfekt wirkt, wenn die Kirche halb voll ist.

Damals hat sich das Publikum direkt vor der Kanzel versammelt, da nicht alle Kirchen mit dem heute üblichen Gestühl ausgestattet waren. Joanna Olchawa hat mehrere Merkmale gefunden, wie die Kanzeln die Menschen geradezu anleiteten, sich auf die Predigt zu konzentrieren: „Direkt an der Kanzel habe ich verschiedene Strategien entdeckt, wie das Publikum aufgefordert wird, nicht einzuschlafen und nicht zu schwatzen, denn die Predigten konnten durchaus acht Stunden dauern“, erzählt Joanna Olchawa. „Es gab Bildzeichen, die davor gewarnt haben, dass der Teufel alle Sünden aufschreibt, von denen er an der Kanzel erfährt, und Figuren, die Lauschen imitieren, um das Publikum anzuleiten, auch gut zuzuhören.“

Von der zeitgenössischen Kunst ins Mittelalter

Joanna Olchawa hat von 2002 bis 2009 Kunstgeschichte, Religionswissenschaft und Klassische Archäologie an der Universität zu Köln und der FU Berlin studiert, zunächst mit Interesse für die zeitgenössische Kunst. Doch je mehr sie über „die Komplexität und den Anspruch der Kunst des Mittelalters“ erfuhr, desto mehr wollte sie darüber wissen. „Meine Begeisterung war entfacht“, erinnert sich Joanna Olchawa und schätzt den Beitrag, den Exkursionen dabei geleistet haben, hoch ein.

Nach ihrem Studium absolvierte die Kunsthistorikerin 2013 bis 2014 ein wissenschaftliches Volontariat am Zentrum für Mittelalterausstellungen am Kulturhistorischen Museum Magdeburg. 2014 wurde sie promoviert mit einer Arbeit über Aquamanilien, aus Bronze gegossene Gießgefäße für Handwaschungen. 2015 bis 2018 war sie Postdoktorandin an der Universität Osnabrück und 2018 für ein Semester Postdoktorandin an der LMU in der Forschungsgruppe „Vormoderne Objekte. Eine Archäologie der Erfahrung“. Von 2018 bis 2024 war sie Wissenschaftliche Assistentin am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität Frankfurt, bevor sie 2024 an die LMU ans Institut für Kunstgeschichte wechselte.

„Ich schwebe noch zwei Zentimeter über dem Boden vor Glück, dass ich diese Stelle innehabe und von hier aus wirken kann“, sagt Joanna Olchawa. „Dieses Institut pulsiert. Hier passieren viele neue Sachen, zum Beispiel was Digitale Kunstgeschichte anbelangt oder an der Professur für Islamische Kunstgeschichte. Ich schätze sehr, dass man sich hier Gedanken über die Zukunft der Kunstgeschichte macht und darüber, was gesellschaftlich und politisch passiert, wozu die Kunstgeschichte beitragen kann, etwa zum Thema Bildkompetenz. Es gibt hier eine große Sensibilität gegenüber der Welt und der Rolle der Kunstgeschichte in ihr. Teil dessen zu sein, ist unglaublich bereichernd.“

Mit ihrer Forschung hat Joanna Olchawa viele Anknüpfungspunkte an der LMU und in München, was für sie auch ein Grund war, den Ruf anzunehmen. Zum einen spiele Sound in vielen unterschiedlichen Disziplinen an der LMU eine Rolle, von der Physik bis zur Theaterwissenschaft. „Und dann gibt es das Zentrum für Mittelalter- und Renaissancestudien, die TU, die Museen, Bibliotheken, Kirchen, das Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Das ist für mich sehr attraktiv.“ Aktuell ist die Kunsthistorikerin dabei, den „Münchner Arbeitskreis Kunstgeschichte des Mittelalters“ zu gründen, um Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichsten Institutionen zusammenzubringen.

Entscheidende Impulse

Joanna Olchawa ist Teil eines DFG-Netzwerks zu „Lautsphären des Mittelalters“, das verschiedene Disziplinen miteinander verbindet. „Das ist unglaublich produktiv. Wir profitieren alle gegenseitig voneinander.“ Ein DFG-Projekt zu „Sound Art History“ hat sie an die LMU mitgebracht und wird die Forschung dazu nun starten.

Auch aus der Zusammenarbeit mit naturwissenschaftlichen Disziplinen gewinnt Joanna Olchawa wichtige Anregungen für ihre Forschung. Entscheidend war dafür zuletzt ein Forschungsaufenthalt am Institute for Advanced Study in Princeton. „Mit den Impulsen aus der Neurowissenschaft ist mir aufgefallen, dass es sinnvoll ist, die Audiovisualität stärker zu beachten und alles, was ich an Kunst aus dem Mittelalter betrachte, dahingehend zu prüfen.“ Diese Erkenntnis hat die Kunsthistorikerin „weg von den Kanzeln hin zu größeren Dimensionen“ geführt. „Mir ist klar geworden, dass man Klang viel größer denken kann.“

Das wird sie nun auch ihre Studierenden an der LMU mit Vorliebe im Rahmen von Exkursionen lehren, die ihr selbst als Studentin erst die Kunst des Mittelalters nahegebracht haben. „Das versuche ich jetzt weiterzugeben.“

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